Diese Seite über das "Schröder-Blair-Papier" wurde seit Mai 2003 nicht mehr verändert.
Einiges in ihr habe ich hier falsch gemacht, Anderes ist ganz in Ordnung.
Diese Seite ist jedoch ziemlich aktuell. Sie hilft, zu verstehen,
wie wir in die Schwierigkeiten gekommen sind, in denen wir heute stecken.
2005-06-12

 
[Vorbemerkungen zum Vorschlag von von Gerhard Schröder und Tony Blair:
 
"Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt."
(Grundgesetz, Art. 20)
 
"Unsere Wirtschaft braucht eine große Gruppe unserer Bürger einfach nicht."
(US-Ökonom Lester Thurow, Zitat gefunden im SPIEGEL 40/1997)
 
      Wir befinden uns im Kampf um die Verteilung von kulturellem Kapital und um die Bedeutung der verschiedenen Kapitalkategorien, darunter die der politischen Kultur (vergleichbar mit Hermann Brochs "Menschenorganisation") und die der Marktkultur ("Leistungsorganisation"). In den unterschiedlichen Kategorien verfügen die Menschen über verschiedene Anteile an Kapital. Die gewichtete Summe bestimmt, wieviel Macht Einzelne und Gruppen aus ihrem Kapitalportefolio gewinnen. Im Wettbewerb um Macht geht es also nicht nur um die Verteilung des Kapitals. Sondern der Wettbewerb erfolgt als Kampf eben auch - und sehr wirkungsvoll - um die Gewichtung der Kategorien des kulturellen Kapitals.
      Nicht im Spiel zu gewinnen, sondern schon im Kampf um die Spielregeln: Das ist der Kampf um die Bedeutung der Kulturkategorien. Da das Grundgesetz die Gewalt des Volkes nur als Staatsgewalt schützt, bedeutet "mehr Markt, weniger Staat" in einem demokratisch legitimierten Staat nichts anderes als eine Entmachtung des Volkes. Markt statt Politik wiederum bedeutet: Die Stimme des Bürgers wird in der täglichen Praxis zunehmend mit seiner Kaufkraft gewichtet.
      Der Triumph des Marktes über den Staat mag durchaus Realität sein. Dieser Zustand ist aber kein Naturereignis, sondern nur die augenblickliche Gefechtslage in einem Kulturkampf. (Allerdings schon in seinen Arbeiten zur Massenwahntheorie schrieb H.Broch vor mehr als 50 Jahren über die Wirtschaft als dem sowohl von Marxisten wie auch Nicht-Marxisten gepflegten Religionsersatz: "Das Gehirn des modernen Menschen ist ökonomisch verseucht.") In diesem Kampf zwischen Staat und Markt versagen die Staatsmänner Blair und Schröder. Sie schwächen mit ihrem Vorschlag die Staatsgewalt, also das Volk. Bleibt es weiterhin dem (oft so alt aussehenden) Neuen gegenüber ohne eigene politische Gestaltungskraft nur folgsam und nicht kritisch lernfähig, so ist der Triumph der Marktinteressenten ("diejenigen Interessenten, deren ökonomische Lage sie in den Stand setzt, vermöge der formalen Marktfreiheit zur Macht zu gelangen", Max Weber, 1913) über das Volk ein verdienter Sieg.
      Globalisierung schafft Gerechtigkeit durch eine gleichmäßigere Verteilung der Ungerechtigkeit. Der Sieg derer, die innerhalb Deutschlands durch die Marginalisierung der Staatsgewalt als Marktinteressenten zur Macht gelangen, wäre auch deswegen verdient, weil wir Deutsche auf globaler Ebene allesamt selbst als eine Masse rücksichtslos billig konsumierender Marktinteressenten auftreten. Wir sitzen ganz oben bei der Umverteilung von unten nach oben und sollen uns darum nicht wundern, wenn nach den Waren und Rohstoffen, die wir als billige Importe ergattern, auch die Bedingungen nach Deutschland importiert werden, unter denen diese Postkolonialwaren produziert wurden. Mit der Liberalisierung der Märkte verbreiten sich nicht nur Waren freier über den Globus, sondern auch die Modi ihrer Verteilung: Den nützlichen Unterschieden zwischen den Regionen und Gesellschaften wird damit erlaubt, zu ebenfalls ausbeutbaren Unterschieden innerhalb der Regionen und Gesellschaft zu werden. Dabei wird die Ungleichverteilung zwischen den Regionen jedoch nicht kleiner.
      Wenn wir "rascher Globalisierung und wissenschaftlichen Veränderungen" flexibel und vom Markt getrieben folgen anstatt sie demokratisch zu gestalten, so geben wir die Bewahrung politischer Handlungsspielräume auf. Wie kommt die Idee, daß "mehr Markt, weniger Staat" ein anzustrebender Wert sei, in die Köpfe derer, die mit dieser Idee verlieren? Was bestimmt und wer beeinflußt praktische Vernunft? Wie könnte die Diktatur der Marktinteressenten aussehen? Jürgen Keltsch (1998/05/08, Bayerisches Innenministerium, kritischer Beobachter von Psychoseminaren): "Die nächste Diktaturform könnte eine technologisch gesteuerte Gesellschaft sein, wie sie der Verhaltenspsychologe B. F. Skinner in seinem Buch 'Jenseits von Freiheit und Würde' propagiert hat."]
 
[Hinweise zu der Editierung des Papiers und zu Links:1999/11/14, Götz Kluge (Updates: 1999/11/10, 1999/12/20, 2000/01/16, 2000/04/04, 2000/05/24, 2000/06/22, 2000/06/29, 2000/09/03, 2000/11a, 2000/11b, 2001/09/15, 2002/02/24, 2002/09/22, 2003/05/07)

Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten

Ein Vorschlag von Gerhard Schröder und Tony Blair

 

In fast allen Ländern der Europäischen Union regieren Sozialdemokraten. Die Sozialdemokratie hat neue Zustimmung gefunden - aber nur, weil sie glaubwürdig begonnen hat, auf der Basis ihrer alten Werte ihre Zukunftsentwürfe zu erneuern und ihre Konzepte zu modernisieren. Sie hat neue Zustimmung auch gewonnen, weil sie nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für wirtschaftliche Dynamisierung und für die Freisetzung von Kreativität und Innovation steht.

Markenzeichen dafür ist die "Neue Mitte" in Deutschland, der "Dritte Weg" im Vereinigten Königreich. Andere Sozialdemokraten wählen andere Begriffe, die zu ihrer eigenen politischen Kultur passen. Mögen Sprache und Institutionen sich unterscheiden: Die Motivation ist die gleiche. Die meisten Menschen teilen ihre Weltsicht längst nicht mehr nach dem Dogma [?] von Links und Rechts ein. Die Sozialdemokraten müssen die Sprache dieser Menschen sprechen.

Fairneß, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Chancengleichheit, Solidarität und Verantwortung für andere: diese Werte sind zeitlos. Die Sozialdemokratie wird sie nie preisgeben. Um diese Werte für die heutigen Herausforderungen relevant zu machen, bedarf es realistischer und vorausschauender Politik, die in der Lage ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu erkennen. Modernisierung der Politik bedeutet nicht, auf Meinungsumfragen zu reagieren [landesweite Meinungsumfrage alle vier Jahre], sondern es bedeutet, sich an objektiv veränderte [von wem?] Bedingungen anzupassen.

Wir müssen unsere Politik in einem neuen, auf den heutigen Stand gebrachten wirtschaftlichen Rahmen betreiben, innerhalb dessen der Staat die Wirtschaft nach Kräften fördert, sich aber nie als Ersatz für die Wirtschaft betrachtet. Die Steuerungsfunktion von Märkten muß durch die Politik ergänzt und verbessert, nicht aber behindert werden. Wir unterstützen eine Marktwirtschaft, nicht aber eine Marktgesellschaft! ["The decline of the nonaligned movement and of Western social democracy are two parts of the same picture. Both reflect the radicalization of the modern socio-economic system, where more and more power is put into the hands of unaccountable institutions that are basically totalitarian (though they happen to be private, and cruically reliant on powerful states)." (Noam Chomsky, 1997)]

 

Wir teilen ein gemeinsames Schicksal in der Europäischen Union. Wir stehen den gleichen Herausforderungen gegenüber: Arbeitsplätze und Wohlstand fördern, jedem einzelnen Individuum die Möglichkeit bieten, seine eigenen Potentiale zu entwickeln, soziale Ausgrenzung und Armut bekämpfen; materiellen Fortschritt, ökologische Nachhaltigkeit und unsere Verantwortung für zukünftige Generationen miteinander vereinbaren; Probleme wie Drogen und Kriminalität, die den Zusammenhalt unserer Gesellschaften bedrohen, wirksam bekämpfen und Europa zu einem attraktiven Modell in der Welt machen.

Wir müssen unsere Politik stärken, indem wir unsere Erfahrungen zwischen Großbritannien und Deutschland austauschen, aber auch mit den Gleichgesinnten in Europa und der übrigen Welt. Wir müssen voneinander lernen und uns an der besten Praxis und Erfahrung in anderen Ländern messen. Mit diesem Appell wollen wir die anderen sozialdemokratisch geführten Regierungen Europas, die unsere Modernisierungsziele teilen, einladen, sich an unserer Diskussion zu beteiligen.

 

I.

Aus Erfahrung lernen

Obgleich Sozialdemokraten und Labour Party eindrucksvoll historische Errungenschaften vorweisen können, müssen wir heute realitätstaugliche Antworten auf neue Herausforderungen in Gesellschaft und Ökonomie entwickeln. Dies erfordert Treue zu unseren Werten, aber Bereitschaft zum Wandel der alten Mittel und traditionellen Instrumente. [Richtig: Neue Fragen erfordern neue Antworten. Aber die in diesem Papier deutlich werdende Fokussierung auf Wachstum und das Verharren im Denken des Wirtschafts-Liberalismus ist nur eine Beantwortung neuer Fragen mit sehr alten Antworten. Schröders "Modernisierung" ist ein verkappter Rückschritt. Die Ideen eines Adam Smith sind nur eingeschränkt in eine "moderne" Zeit übertragbar,

Speziell wegen der letzten beiden Punkte wird sich selbst der gegenwärtige Grad der Marktorientiertheit von Politik nicht halten lassen. Schröders "Modernisierung" greift nicht nur zu kurz, sondern sie will uns trotz in der Menschheitsgeschichte völlig neuer Problemstellungen mit neoliberalen Rezepten in die Vergangenheit zurückführen. Und ausgerechnet die Grünen machen dabei mit.]

 

II.

Neue Konzepte für veränderte Realitäten

Das Verständnis dessen, was "links" ist, darf nicht ideologisch einengen.

All dies erfordert auch einen modernen Ansatz [?] des Regierens.

Wenn die neue Politik gelingen soll, muß sie eine Aufbruchstimmung und einen neuen Unternehmergeist auf allen Ebenen der Gesellschaft fördern. Dies erfordert:

Unsere Staaten haben unterschiedliche Traditionen im Umgang zwischen Staat, Industrie, Gewerkschaften und gesellschaftlichen Gruppen, aber wir alle teilen die Überzeugung, daß die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz überwunden werden müssen.

Dazu gehört vor allem, die Bereitschaft und die Fähigkeit der Gesellschaft zum Dialog und zum Konsens wieder neu zu gewinnen und zu stärken. Wir wollen allen Gruppen ein Angebot unterbreiten, sich in die gemeinsame Verantwortung für das Gemeinwohl einzubringen.

In Deutschland hat die neue sozialdemokratische Regierung deshalb sofort nach Amtsantritt Spitzenvertreter von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zu einem Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit um einen Tisch versammelt.

 

 

III.

Eine neue angebotsorientierte Agenda für die Linke

Europa sieht sich der Aufgabe gegenüber, den Herausforderungen der Weltwirtschaft zu begegnen und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt angesichts tatsächlicher oder subjektiv empfundener Ungewißheit zu wahren. Eine Zunahme der Beschäftigung und der Beschäftigungschancen ist die beste Garantie für eine in sich gefestigte Gesellschaft.

Die beiden vergangenen Jahrzehnte des neoliberalen Laisser-faire sind vorüber. An ihre Stelle darf jedoch keine Renaissance des "deficit spending" und massiver staatlicher Intervention im Stile der siebziger Jahre treten. Eine solche Politik führt heute in die falsche Richtung.

Unsere Volkswirtschaften und die globalen Wirtschaftsbeziehungen haben einen radikalen Wandel erfahren. Neue Bedingungen und neue Realitäten erfordern eine Neubewertung alter Vorstellungen und die Entwicklung neuer Konzepte.

In einem großen Teil Europas ist die Arbeitslosigkeit viel zu hoch, und ein großer Teil dieser Arbeitslosigkeit ist strukturell bedingt. Um dieser Herausforderung begegnen zu können, müssen die europäischen Sozialdemokraten gemeinsam eine neue angebotsorientierte Agenda für die Linke formulieren und umsetzen.

Wir wollen den Sozialstaat modernisieren, nicht abschaffen. Wir wollen neue Wege der Solidarität und der Verantwortung für andere beschreiten, ohne die Motive für wirtschaftliche Aktivitäten auf puren Eigennutz zu gründen.

Die wichtigsten Elemente dieses Ansatzes sind die folgenden:

Ein robuster und wettbewerbsfähiger marktwirtschaftlicher Rahmen

Wettbewerb auf den Produktmärkten und offener Handel sind von wesentlicher Bedeutung für die Stimulierung von Produktivität und Wachstum. [Wie ist es um die geistige Flexibilität von Blair und Schröder selbst bestellt? Wie sehr Schöders und Blairs "Modernität" im Grunde noch an gestrigen Dogmen verhaftet ist, zeigt der Vergleich zu einem Buch, das von Rupert Riedl und Manuela Delpos herausgegeben wurde: Die Ursachen des Wachstums (Unsere Chancen zur Umkehr), Wien 1996, ISBN 3-218-00628-7. Weiterhin: D.L.Meadows, SZ 1999/11/13] Aus diesem Grund sind Rahmenbedingungen, unter denen ein einwandfreies Spiel der Marktkräfte möglich ist, entscheidend für wirtschaftlichen Erfolg und eine Vorbedingung für eine erfolgreichere Beschäftigungspolitik.

Eine auf die Förderung nachhaltigen Wachstums [Hartmut Bossel (IISD): Indicators for Sustainable Development (Theory, Method, Applications), 1999, ISBN 1-895536-13-8] ausgerichtete Steuerpolitik

In der Vergangenheit wurden Sozialdemokraten mit hohen Steuern, insbesondere Unternehmenssteuern, identifiziert. Moderne Sozialdemokraten erkennen an, daß Steuerreformen und Steuersenkungen unter den richtigen Umständen wesentlich dazu beitragen können, ihre übergeordneten gesellschaftlichen Ziele zu verwirklichen.

So stärken Körperschaftssteuersenkungen die Rentabilität und schaffen Investitionsanreize. Höhere Investitionen wiederum erweitern die Wirtschaftstätigkeit und verstärken das Produktivpotential. Dies trägt zu einem positiven Dominoeffekt bei, durch den Wachstum die Ressourcen vermehrt, die für öffentliche Ausgaben für soziale Zwecke zur Verfügung stehen. ["Die Vermögensverteilung in Deutschland weist eine beträchtliche Disparität auf. Tendenziell nimmt diese seit geraumer Zeit zu, wie ein Vergleich der EVS-Daten von 1973, 1978, 1983 und 1988 zeigt. (Die Ergebnisse der EVS von 1993 sind mit früheren EVS-Daten nur eingeschränkt vergleichbar). Die Reichen sind reicher geworden, weil sie ihr Geldvermögen durch ansehnliche Vermögenserträge aufstocken konnten. Doch auch die unterschiedliche Entwicklung der funktionellen Einkommen hat zur Zunahme der Disparität in der Vermögensverteilung beigetragen: 1996 waren die entnommenen Gewinne und Vermögenseinkommen mehr als dreimal, die Nettolohn- und -gehaltsumme aber nur doppelt so hoch wie 1980." DIW, 1998]


Angebots- und Nachfragepolitik gehören zusammen und sind keine Alternativen

In der Vergangenheit haben Sozialdemokraten oft den Eindruck erweckt, Wachstum und eine hohe Beschäftigungsquote ließen sich durch eine erfolgreiche Steuerung der Nachfrage allein erreichen. Moderne Sozialdemokraten erkennen an, daß eine angebotsorientierte Politik eine zentrale und komplementäre Rolle zu spielen hat.

In der heutigen Welt haben die meisten wirtschaftspolitischen Entscheidungen Auswirkungen sowohl auf Angebot als auch auf Nachfrage.

Ziel sozialdemokratischer Politik ist es, den Scheinwiderspruch von Angebots- und Nachfragepolitik zugunsten eines fruchtbaren Miteinanders von mikroökonomischer Flexibilität und makroökonomischer Stabilität zu überwinden.

Um in der heutigen Welt ein größeres Wachstum [hier hört modernes Denken leider auf] und mehr Arbeitsplätze zu erreichen, müssen Volkswirtschaften anpassungsfähig sein: Flexible Märkte sind ein modernes sozialdemokratisches Ziel.

Makroökonomische Politik verfolgt noch immer einen wesentlichen Zweck: Sie will den Rahmen für stabiles Wachstum schaffen und extreme Konjunkturschwankungen vermeiden. Sozialdemokraten müssen aber erkennen, daß die Schaffung der richtigen makroökonomischen Bedingungen nicht ausreicht, um Wachstum zu stimulieren und mehr Arbeitsplätze zu schaffen.

Veränderungen der Zinssätze oder der Steuerpolitik führen nicht zu verstärkter Investitionstätigkeit und zu mehr Beschäftigung, wenn nicht gleichzeitig die Angebotsseite der Wirtschaft anpassungsfähig genug ist, um zu reagieren. Um die europäische Wirtschaft dynamischer zu gestalten, müssen wir sie auch flexibler machen.

Anpassungsfähigkeit und Flexibilität stehen in der wissensgestützten Dienstleistungsgesellschaft in Zukunft immer höher im Kurs

Unsere Volkswirtschaften befinden sich im Übergang von der industriellen Produktion zur wissensorientierten Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft. Sozialdemokraten müssen die Chance ergreifen, die dieser wirtschaftlicher Umbruch mit sich bringt. Sie bietet Europa die Gelegenheit, zu den Vereinigten Staaten aufzuschließen. Sie eröffnet Millionen Menschen die Chance, neue Arbeitsplätze zu finden, neue Fähigkeiten zu erlernen, neue Berufe zu ergreifen, neue Unternehmen zu gründen und zu erweitern - kurzum, ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu verwirklichen.

Sozialdemokraten müssen aber auch anerkennen, daß sich die Grundvoraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg verändert haben. Dienstleistungen kann man nicht auf Lager halten: Der Kunde nutzt sie, wie und wann er sie braucht - zu unterschiedlichen Tageszeiten, auch außerhalb der heute als üblich geltenden Arbeitszeit. Das rasche Vordringen des Informationszeitalters, insbesondere das enorme Potential des elektronischen Handels, verspricht, die Art, wie wir einkaufen, lernen, miteinander kommunizieren und uns entspannen, radikal zu verändern. Rigidität und Überregulierung sind ein Bremsklotz für die wissensorientierte Dienstleistungsgesellschaft der Zukunft. Sie ersticken das Innovationspotential, das zur Schaffung neuen Wachstums und neuer Arbeitsplätze erforderlich ist. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Flexibilität.

Ein aktiver Staat in einer neuverstandenen Rolle hat einen zentralen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung zu leisten

Moderne Sozialdemokraten sind keine Laisser-faire-Neoliberalen. [Neoliberalismus ist die Zerstörung der Demokratie: "Was ist der Neoliberalismus? Ein Programm zur Zerstörung kollektiver Strukturen, die noch in der Lage sind, der Logik des reinen Marktes zu widerstehen." (Pierre Bourdieu)] Flexible Märkte müssen mit einer neu definierten Rolle für einen aktiven Staat kombiniert werden. Erste Priorität muß die Investition in menschliches und soziales Kapital sein.

Wenn auf Dauer ein hoher Beschäftigungsstand erreicht werden soll, müssen Arbeitnehmer auf sich verändernde Anforderungen reagieren. Unsere Volkswirtschaften leiden an einer erheblichen Diskrepanz zwischen offenen Stellen, die nicht besetzt werden können (z.B. im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie), und (dem Mangel an) angemessen qualifizierten Bewerbern.

Dies bedeutet, daß Bildung keine "einmalige" Chance sein darf: Zugang und Nutzung zu Bildungsmöglichkeiten und lebenslanges Lernen stellen die wichtigste Form der Sicherheit in der modernen Welt dar. Die Regierungen sind deshalb dafür verantwortlich, einen Rahmen zu schaffen, der es den einzelnen ermöglicht, ihre Qualifikationen zu steigern und ihre Fähigkeiten auszuschöpfen. Dies muß heute für Sozialdemokraten höchste Priorität haben.

Eine moderne und effiziente öffentliche Infrastruktur einschließlich einer starken Wissenschaftsbasis ist ein wesentliches Merkmal einer dynamischen arbeitsplätzeschaffenden Wirtschaft. Es ist wichtig sicherzustellen, daß sich die öffentlichen Ausgaben in ihrer Zusammensetzung auf diejenigen Tätigkeiten konzentrieren, die dem Wachstum und der Förderung des notwendigen Strukturwandels am besten dienen. [Für mich ist hier der dümmste und gefährlichste Abschnitt in dem ganzen Blair/Schröder-Papier. Wissenschaft konzentriert sich nicht darauf, vorgegebene Erkenntnisse zu bestätigen, sondern hat Wissen zu schaffen. Damit erkennen wir Ziele und die Wege zu diesen Zielen - aber auch Irrwege. Je wertfreier Wissenschaft ist, desto besser hilft sie uns, Werte zu finden. Der Versuch, Wissenschaft zu zähmen (und ihr zum Beispiel Wachstum als von ihr zu unterstützendes Ziel vorzuschreiben), modernisiert nicht die Sozialdemokratie, sondern wirft sie wieder in ihre sozialistischen Ursprünge zurück.
      Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Wissenschaft darf nicht darauf beschränkt werden, nach Zielvorgabe nur irgendeinem als irgendwie notwendig vorgegebenen Strukturwandel und Wachstum gefällig zuzuarbeiten. Es kann nicht nur darum gehen, daß wir dem Strukturwandel wie Lemminge nachhetzen und Wachstum nach Art dieser Nager bis zum Sprung über die Klippe vorantreiben. Sondern Wissenschaft muß die Menschen befähigen, die Notwendigkeit von Strukturwandel und Wachstum selbst mit Hilfe einer die individuelle Urteilskraft stärkenden Wissenschaftsbasis überprüfen und die Richtung des Wandels mitbestimmen zu können. Es geht um die wissensbasierte und demokratische (also nicht nur marktgesteuerte) Gestaltung der Strukturen, in und mit denen wir leben.
      "Ich denke, daß sich die nationale und internationale Technokratie nicht wirksam bekämpfen läßt, solange man sich ihr nicht auf dem von ihr vorgezogenen Terrain entgegenstellt, dem der Wissenschaft, besonders dem der Ökonomie. Um dem abstrakten und verstümmelten Wissen zu entgegnen, dessen sich die Technokraten rühmen, wird ein Wissen benötigt, daß die Menschen und die Realitäten, denen sie ausgesetzt sind, mehr respektiert."
(Aus einer Rede von Pierre Bourdieu, Paris, Gare de Lyon, 1995/12/12; Quelle: Libération et L'Humanité 1995/12/14)]

Moderne Sozialdemokraten müssen die Anwälte des Mittelstands sein

Der Aufbau eines prosperierenden Mittelstands muß eine wichtige Priorität für moderne Sozialdemokraten sein. Hier liegt das größte Potential für neues Wachstum und neue Arbeitsplätze in der wissensgestützten Gesellschaft der Zukunft. [Als Regierungspartei haben die Sozialdemokraten die Anwälte des gesamten Volkes zu sein.]

Gesunde öffentliche Finanzen sollten zum Gegenstand des Stolzes für Sozialdemokraten werden

In der Vergangenheit wurde sozialdemokratische Politik allzu oft assoziiert mit der Einstellung, daß der beste Weg zur Förderung von Beschäftigung und Wachstum die Ausdehnung der öffentlichen Verschuldung zum Zweck höherer öffentlicher Ausgaben sei. Für uns ist öffentliche Verschuldung nicht generell abzulehnen - während eines zyklischen Abschwungs kann es Sinn machen, die automatischen Stabilisatoren arbeiten zu lassen. Und Verschuldung mit dem Ziel höherer öffentlicher Investitionen, in strikter Beachtung der "goldenen Regel", kann eine wichtige Rolle in der Stärkung der Angebotsseite der Ökonomie spielen.

Aber "Defizit Spending" kann nicht genutzt werden, um strukturelle Schwächen in der Ökonomie zu beseitigen, die schnelleres Wachstum und höhere Beschäftigung verhindern. Sozialdemokraten dürfen deshalb exzessive Staatsverschuldung nicht tolerieren. Wachsende Verschuldung stellt eine unfaire Belastung kommender Generationen dar. Sie kann unwillkommene Verteilungseffekte haben. Und schließlich ist Geld, das zum Schuldendienst eingesetzt werden muß, nicht mehr für andere Prioritäten verfügbar, einschließlich höherer Investitionen in Bildung, Ausbildung und Infrastruktur.

 

IV.

[Wachstum für wen?

  • MÜNCHEN (dpa, 2000/06/29). Nicht nur die Börsenkurse der im Deutschen Aktienindex (Dax) notierten Konzerne sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen, sondern auch die Einkommen ihrer Vorstandsmitglieder. Die Manager der 30 bedeutendsten Unternehmen auf dem hiesigen Kurszettel verdienten im vergangenen Jahr durchschnittlich 2,5 Millionen Mark, hat die Personalberatung Spencer Stuart ermittelt. Im Vergleich mit 1997 bedeutet dies ein Plus um 40 Prozent [d.h. etwa 18 Prozent pro Jahr]. Wie Agentur-Chef Otto Werner Obermaier berichtet, lägen die Managergehälter bei den Branchenriesen zwar weit auseinander. Kaum ein Vorstand verdiene aber weniger als eine Million Mark.
  • hih BERLIN (FR, 2000/06/29). Den Arbeitnehmern und Gewerkschaften ist es in den neunziger Jahren nicht gelungen, eine "gerechte Teilhabe" am Wirtschaftswachstum zu sichern. Das ist der Tenor eines Berichts des DGB zur "Einkommensentwicklung in Deutschland". [...] Die Bruttoentgelte seien seither nur um rund 20 Prozent [d.h. unter 1 Prozent pro Jahr] gestiegen. Dieser ohnehin "geringe Zuwachs" wurde zum größten Teil durch "zunehmende Steuer- und Sozialversicherungslasten" der Arbeitnehmer aufgefressen - mit der Folge, dass die realen Nettolöhne in den zwei Dekaden nicht einmal um fünf Prozent [d.h. etwa 0,2 Prozent pro Jahr] zugelegt haben. Diesem mageren Zugewinn bei der Kaufkraft der Arbeitnehmer steht ein massives Wachstum der realen Nettogewinne um gut 84 Prozent [d.h. etwas über 3 Prozent pro Jahr] gegenüber. [...] Doch die Unternehmen nutzten die höheren Erträge kaum zum Aus- und Aufbau neuer Kapazitäten und damit zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Die selbst erwirtschafteten Mittel übertrafen 1999 die Investitionen um 28 Prozent. Anfang der neunziger Jahre war das Verhältnis noch ausgeglichen.
Link: Ungleichverteilung]
Eine aktive Arbeitsmarktpolitik für die Linke

Der Staat muß die Beschäftigung aktiv fördern und nicht nur passiver Versorger der Opfer wirtschaftlichen Versagens sein.

Menschen, die nie gearbeitet haben oder schon lange arbeitslos sind, verlieren die Fertigkeiten, die sie brauchen, um auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren zu können. Langzeitarbeitslosigkeit beeinträchtigt die persönlichen Lebenschancen auch in anderer Weise und macht die uneingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe schwieriger.

Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit, Arbeit zu finden, behindert, muß reformiert werden. Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln.

Für unsere Gesellschaften besteht der Imperativ der sozialen Gerechtigkeit aus mehr als der Verteilung von Geld. Unser Ziel ist eine Ausweitung der Chancengleichheit, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Alter oder Behinderung - um sozialen Ausschluß zu bekämpfen und die Gleichheit zwischen Mann und Frau sicherzustellen.

Die Menschen verlangen zu Recht nach hochwertigen Dienstleistungen und Solidarität für alle, die Hilfe brauchen - aber auch nach Fairneß gegenüber denen, die das bezahlen. Alle sozialpolitischen Instrumente müssen Lebenschancen verbessern, Selbsthilfe anregen, Eigenverantwortung fördern.

Mit diesem Ziel wird in Deutschland das Gesundheitssystem ebenso wie das System der Alterssicherung umfassend modernisiert, indem beide auf die Veränderungen in der Lebenserwartung und die sich verändernden Erwerbsbiographien eingestellt werden, ohne den Grundsatz der Solidarität dabei preiszugeben. Derselbe Gedanke stand im Hintergrund bei der Einführung der "Stakeholder Pensions" und der Reform der Erwerbsunfähigkeitszahlungen in Großbritannien.

Zeiten der Arbeitslosigkeit müssen in einer Wirtschaft, in der es den lebenslangen Arbeitsplatz nicht mehr gibt, eine Chance für Qualifizierung und persönliche Weiterbildung sein. Teilzeitarbeit und geringfügige Arbeit sind besser als gar keine Arbeit, denn sie erleichtern den Übergang von Arbeitslosigkeit in Beschäftigung.

Eine neue Politik mit dem Ziel, arbeitslosen Menschen Arbeitsplätze und Ausbildung anzubieten, ist eine sozialdemokratische Priorität - wir erwarten aber auch, daß jeder die ihm gebotenen Chancen annimmt.

Es reicht aber nicht, die Menschen mit den Fähigkeiten und Kenntnissen auszurüsten, die sie brauchen, um erwerbstätig zu werden. Das System der Steuern und Sozialleistungen muß sicherstellen, daß es im Interesse der Menschen liegt, zu arbeiten. Ein gestrafftes und modernisiertes Steuer- und Sozialleistungssystem ist eine wesentliche Komponente der aktiven, angebotsorientierten Arbeitsmarktpolitik der Linken. Wir müssen:

Die neue angebotsorientierte Agenda der Linken wird den Strukturwandel beschleunigen. Sie wird es aber auch leichter machen, mit ihm zu leben und ihn zu gestalten.

Anpassung an den Wandel ist nie einfach, und der Wandel scheint sich schneller zu vollziehen als je zuvor [Zu dieser Denkfalle gibt es ein interessantes Buch von Peter Kafka: Gegen den Untergang, 1994, ISBN 3-446-17834-1.], nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen neuer Technologien. Der Wandel vernichtet unweigerlich Arbeitsplätze, aber er schafft auch neue.

Zwischen dem Verlust von Arbeitsplätzen in einem Sektor und der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen anderswo können jedoch zeitliche Lücken entstehen. Was immer der langfristige Nutzen für Volkswirtschaften und Lebensstandard sein mag, in einigen Wirtschaftszweigen und bei einigen Gruppen werden sich die Kosten vor dem Nutzen einstellen. Daher müssen wir unsere Bemühungen darauf konzentrieren, Probleme des Übergangs abzufedern. Die unerwünschten Auswirkungen des Wandels werden um so stärker ausfallen, je länger man sich diesem Wandel widersetzt, aber es wäre Wunschdenken, sie leugnen zu wollen.

Je reibungsloser der Arbeitsmarkt und die Produktmärkte funktionieren, desto leichter wird die Anpassung gelingen. Beschäftigungshindernisse in Sektoren mit relativ niedriger Produktivität müssen verringert werden, wenn Arbeitnehmer, die von den mit jedem Strukturwandel einhergehenden Produktivitätszuwächsen verdrängt wurden, anderswo Arbeit finden sollen. Der Arbeitsmarkt braucht einen Sektor mit niedrigen Löhnen, um gering Qualifizierten Arbeitsplätze verfügbar zu machen.

Die öffentliche Hand kann durch die gezielte Entlastung niedriger Einkommen von Sozialabgaben neue Erwerbschancen schaffen und so gleichzeitig Unterstützungsleistungen für Arbeitslose sparen. Reformierte Arbeitsmarktpolitiken müssen verdrängte Arbeitnehmer durch Umschulung, die gezielte Rückführung aus der sozialen Abhängigkeit in Erwerbstätigkeit sowie Maßnahmen, durch die sich Arbeit wieder lohnen soll, an diese neuen Beschäftigungsmöglichkeiten heranführen.

 

V.

"Politisches Benchmarking" in Europa

Die Herausforderung besteht in der Formulierung und Umsetzung einer neuen sozialdemokratischen Politik in Europa. Wir reden nicht einem einheitlichen europäischen Modell das Wort, geschweige denn der Umwandlung der Europäischen Union in einen "Superstaat". Wir sind für Europa und für Reformen in Europa.

Die Menschen unterstützen weitere Integrationsschritte, wenn damit ein wirklicher "Mehrwert" einhergeht und sie klar begründet werden können, wie der Kampf gegen Kriminalität und Umweltzerstörung sowie die Förderung gemeinsamer Ziele in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. Aber gleichzeitig bedarf Europa dringend der Reformen - effizientere und transparentere Institutionen, eine Reform veralteter Politiken und die energische Bekämpfung von Verschwendung und Betrug.

Wir stellen unsere Ideen als einen Entwurf vor, nicht als abgeschlossenes Programm. Die Politik der Neuen Mitte und des Dritten Weges ist bereits Realität, in vielen Kommunen, in reformierten nationalen Politiken, in der europäischen Kooperation und in neuen internationalen Initiativen.

Deshalb haben die deutsche und die britische Regierung beschlossen, den bestehenden Meinungsaustausch über die Entwicklung von Politik in einen umfassenderen Ansatz einzubetten. Wir schlagen vor, dies auf dreierlei Weise zu tun:

Ziel dieser Erklärung ist es, einen Anstoß zur Modernisierung zu geben. Wir laden alle Sozialdemokraten in Europa dazu ein, diese historische Chance zur Erneuerung nicht verstreichen zu lassen. Die Vielfalt unserer Ideen ist unser größtes Kapital für die Zukunft. Unsere Gesellschaften erwarten, daß wir unsere vielfältigen Erfahrungen zu einem neuen Konzept bündeln.

Laßt uns zusammen am Erfolg der Sozialdemokratie für das neue Jahrhundert bauen. Laßt die Politik des Dritten Weges und der Neuen Mitte Europas neue Hoffnung sein.



[Nachtrag (G.Kluge, 1999/06/19):

Wohlstandsmüll: Unwort des Jahres 1997, als Bezeichnung für Menschen erstmalig verwendet von Helmut Maucher (damals noch Vollzeit-Chef von Nestlé) in einem STERN-Interview mit dem Titel "Gentechnologie - dazu stehen wir" (Hervorhebungen nachträglich eingefügt):

  • STERN (Nr. 47 vom 14.11.1996, Seite 172): "Massiver Sozialabbau ist für Sie ein positives Signal?"
  • MAUCHER: "Wir haben mittlerweile provozierend gesagt, einen gewissen Prozentsatz an Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die entweder keinen Antrieb haben zu arbeiten, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen. Daß Sie mich richtig verstehen: Ich bin der Meinung, daß wir genügend Geld haben, diejenigen zu unterstützen die wirklich alt, krank oder arbeitslos sind. Aber es gibt zuviel Mißbrauch und Auswüchse."
  • STERN: Sechs Millionen Arbeitslose: alles Sozialschmarotzer?
  • MAUCHER: Wir müssen in Kauf nehmen, daß wir einen Teil der Bevölkerung durchfüttern, der wirklich nicht mehr fähig ist zu arbeiten. Wenn aber der eine oder andere etwas stärker unter Druck gesetzt würde, man ihm schlechter bezahlte Jobs zumuten könnte oder die Differenz zwischen Nettolohn und Sozialleistungen mehr als zehn Prozent betragen würde, würde er vielleicht sagen: "Gut, dann nehme ich lieber wieder eine Schaufel in die Hand."
Damit sei ein "Gipfel in der zynischen Bewertung von Menschen nach ihrem 'Marktwert' erreicht", meinten sechs Experten, die den Begriff aus knapp 1300 Vorschlägen auswählten. Das berichtete der Sprecher der Jury, der Germanistik-Professor Schlosser (Frankfurt, 1998/01/20). Ob dieser Gipfel tatsächlich ereicht wurde, ergäbe der Vergleich mit der Sprache eines Josef Goebbels. Siehe auch: Neurosen und Lester Thurow.
      "Ein solcher Mann weiß, was er sagt, er hat das politische und gesellschaftliche Umfeld eiskalt analysiert. Wenn er danach glauben darf, ungestraft in derart zynischen Verbalradikalismus verfallen zu können, ist dies der eigentliche Skandal", kommentierten die Aachener Nachrichten. Helmut O. Maucher repräsentiert das Denken des internationalen Handels, denn er ist amtierender Präsident der internationalen Handelskammer (ICC) und außerdem Vorsitzender der Europarunde der Industrie (ERT), die beste Kontakte zur Europäischen Kommission unterhält (1998). Damit beantwortet sich die Frage, ob Marktkräfte zur Kontrolle von Handel und Händlern ausreichen.
      Zum Abschluß noch ein Witz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."]
 
[Literatur:
  1. Elmar Altvater / Rolf Hecker / Michael Heinrich: KAPITAL.DOC, 1999, ISBN 3-89691-437-5
  2. Dirk Baecker, Wetten als Stabilitätsfaktor, TAZ 1999/12/20
  3. Paul Bairoch: Mythes et paradoxes de l'histoire économique, Paris (La Découverte) 1995
  4. Dorothee Beck / Hartmut Meine: Wasserprediger und Weintrinker. Wie Reichtum vertuscht und Armut verdrängt wird, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-527-5 (Besprechung in der TAZ)
  5. Hartmut Bossel (IISD): Indicators for Sustainable Development (Theory, Method, Applications), 1999, ISBN 1-895536-13-8
  6. Bertolt Brecht: Dreigroschenroman, 1934, ISBN 3-518-39304-9 (Engl.: Threepenny Novel, ISBN 0-14-018037-0)
  7. Hermann Broch: Massenwahntheorie, 1939 bis 1948, ISBN 3-518-02504-X; insbes. 3. Teil, Kapitel 5.8 "Totalwirtschaft und Totalversklavung"
  8. Achim Brunnengräber: Über die Unzulänglichkeiten kosmopolitischer Demokratie in einer transnationalen Welt, 1999?, WWW
  9. Burkhard G. Busch: Entgleist und verspätet (Post, Bahn & Co. in der Privatisierung. Das Ende aller Ordnung.), 2000, ISBN 3-7844-7400-4
  10. Noam Chomsky: Secrets, Lies and Democracy, 1994, ISBN 1-878825-04-6 (für Leser, die von Amerika lernen wollen!)
  11. Noam Chomsky: The Common Good, 1998, ISBN 1-878825-08-9
  12. Christian v. Ditfurth: Wachstumswahn, 1995, ISBN 3-88977-418-0
  13. Klaus v. Dohnany: Gemeinsinn und Zivilcorage, Merkur 2000/11, ISBN 3-608-97019-3
  14. Denis Duclos: Naissance de l'hyperbourgeoisie, Le Monde Diplomatique 1998/08 (Die Internationale der Hyperbourgoisie: Eine neue Klasse löst die alten Führungsschichten ab.)
  15. Thomas Byrne Edsall: The Return of Inequality, Atlantic Monthly, June 1988
  16. Thomas Frank: One Market under God (extreme capitalism, market populism and the end of economic democracy),2000/2002, ISBN 0-099-42224-7
  17. Jean Gadrey: New Economy, New Myth, 2001/2003, ISBN 0-415-30142-4
  18. James K. Galbraith: Created Unequal, 1998, ISBN 0-684-84988-7
  19. Gasche/Guggenbühl/Vothlobel: Das Geschwätz von der freien Marktwirtschaft, 1997, ISBN 3-7064-0319-6 (Unter welchen Bedingungen schadet die freie Marktwirtschaft der freien Marktwirtschaft?), !!!
  20. Jeff Gates: The Ownership Solution (Towards a shared capitalism for the twenty-first century), 1998, ISBN 0-14-027530-4
  21. Christian Hein (WOCATE): Entropie - eine Zugangsgröße zur Herausbildung allgemeinen Technikverständnisses?, Halle 1997, (wenn wieder mal aus dem WWW genommen, hier die Mirror-File: ENTHEIN.ZIP)
  22. Alan Haworth: Anti-Libertarianism (Markets, Philosophy and Myth), 1994, ISBN 0-415-08254-4, !!!
  23. F.Hengsbach SJ / M.Möhring-Hesse: Aus der Schieflage heraus (Demokratische Verteilung von Reichtum und Arbeit), 1999, ISBN 3-8012-0278-X
  24. H.v.Hentig: Die Menschen stärken, die Sachen klären. Ein Plädoyer für die Wiederherstellung der Aufklärung, Stuttgart 1985, ISBN 3-15-008072-X, !!!
  25. Uwe Jean Heuser: Die neue Teilung, Wohlstand für wenige, DIE ZEIT 1997/10/24
  26. Ernst-Ulrich Huster (Hrsg.): Reichtum in Deutschland, Die Gewinner in der sozialen Polarisierung, Frankfurt 1997, erheblich erweiterte Neuauflage, ISBN 3-593-35859-X (Besprechung in der TAZ: Die erste Auflage von 1993 markierte den (Neu-)Beginn der akademischen Reichtumsdiskussion.) !!!
  27. Hartmut Köhler: Mathematics Teaching and Democratic Education, Stuttgart Institute for Education and Learning, D-70174 Stuttgart (empfohlen von Colin Hannaford, New Scientist 1999/08/28, S.46)
  28. David C. Korten, When Corporations Rule the World, 1995
  29. Oskar Lafontaine: Das Herz schlägt links, 1999, ISBN 3-430-15947-6
  30. Lutz Leisering / Stephan Leibfried: Time and Poverty in the Welfare State, 1999 (2000?) (Übersetzte und dabei intensiv überarbeitete Ausgabe von "Zeit der Armut", 1995) !!!
  31. Bernard Mandeville: The Fable of the Bees, London 1705, ISBN 0-14-044541-2; large edition (Liberty Fund, Indianapolis): ISBN 0-86597-072-6 (hardcover), ISBN 0-86597-075-0 (paperback); deutsch: Die Bienenfabel, ISBN 3-518-07900-X
  32. Hans-Peter Martia / Harald Schumann: Die Globalisierungsfalle (Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand), 1996, ISBN 3-498-04381-1
  33. Dennis L. Meadows: Der Kaiser ist längst nackt (Für eine dauerhaft tragbare weitere Wirtschaftsentwicklung ist es zu spät. Um so mehr muss die Gesellschaft Abschied nehmen von einer Ideologie grenzenlosen Wachstums und Visionen entwickeln, wie sie mit dem Mangel umgehen wird.), 1999/11/13-14, Süddeutsche Zeitung
  34. Farhad Nili: Growth Constrained by Exhaustible Resources:A Creative Destruction Approach, 2000
  35. Christian Nürnberger: Die Machtwirtschaft, 1999, ISBN 3-423-24162-4
  36. Ricardo Petrella: Die Enteignung des Staates schreitet voran, Le Monde Diplomatique 1999/09
  37. Rupert Riedl / Manuela Delpos: Die Ursachen des Wachstums (Unsere Chancen zur Umkehr), Wien 1996, ISBN 3-218-00628-7
  38. Jan Roß: Die neuen Staatsfeinde, 2000, ISBN 3-596-14629-1, "Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co.?" fragt diese "Streitschrift gegen den Vulgärliberalismus".
  39. Jan Ross: Regieren, Handwerk ohne Boden, Merkur 2000/11, ISBN 3-608-97019-3
  40. William Roth: The Assault on Social Policy, 2002
  41. P.J. O'Rourke: Eat the Rich (A Treatise on Economics), 1998
  42. Gilles Saint-Paul: Les économistes ont-ils une aversion pour la démocratie?, 1997?, WWW
  43. J.A.Schumpeter: Capitalism, Socialism and Democracy, 1942; Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1946, ISBN 3-8252-01720-4
  44. Tibor Scitovsky: The Joyless Economy (The Psychology of Human Satisfaction), 1992, ISBN 0-19507346-0
  45. Rolf Simons / Klaus Westermann (ed.): Standortdebatte und Globalisierung der Wirtschaft, 1997, ISBN 3-89472-194-4
  46. Burrhus Frederic Skinner: Jenseits von Freiheit und Würde, 1971
  47. Adam Smith: Wealth of the Nations, 1776, ISBN 0-87975-705-1
  48. Thorstein Bunde Veblen: The Theory of the Leisure Class, 1899, ISBN 0-14-018795-2, (deutsch: Die Theorie der feinen Leute, 1966); see also HyperTexts
  49. Bernhard Verbeek: Anthropologie der Umweltzerstörung, 1998, ISBN 3-89678-099-9
  50. Max Weber: Schriften zur Soziologie, 1911-1913, ISBN 3-15-009387-2
  51. Karl Georg Zinn: Globalisierungslehre ist Mythenbildung, Gewerkschaftliche Monatshefte 4/1997
  52. Karl Georg Zinn: Wie Reichtum Armut schafft, 1998, ISBN 3-89438-150-7

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